etrachtet man sich die aktuelle Multistrada 1200 S, vergisst man sehr schnell dass es in Sachen Multistrada eine Geschichte vor der 1200er gab. 2003 gab es mit der 1000er die erste Version der Multistrada. Was der Designer Pierre Terblanche da geschaffen hatte, war freundlich gesagt mutig. Denn bei allen Qualitäten war das Teil für die meisten schlichtweg spuckhässlich. Natürlich liegt dies immer im Auge des Betrachters, aber es soll ja auch Leute geben die den Fiat Multipla unwiderstehlich fanden. Ein ähnliches Schicksal plagte auch die erste Multi. Die sehr runde Halbschalenverkleidung deren obere Hälfte mitlenkend konstruiert war, hatte ungefähr der gleichen Schick wie das Scheinwerfer genannte Zyklopenauge der BMW R 1200 ST. Kein Vergleich zum dermaßen gefälligen Auftritt der aktuellen Multistrada 1200. Auch in der neuesten Version als Multi zu erkennen, genau an den richtigen Stellen modernisiert und überarbeitet.
Die BMW S1000XR muss sich nicht mit der buckligen Verwandtschaft vergangener Tag herumärgern. Als Debütantin im BMW-Modellprogramm beschreitet sie neue Wege – die alles in allem aber auch auf den 2. Blick irgendwie an die Ducati erinnern. Letztendlich ist es nun einmal die gleiche Fahrzeugkategorie und das Gesicht mit den Doppelscheinwerfern hat ja gerade bei der S1000-Reihe eine Tradition. Und den Schnabel hat weder Ducati noch BMW erfunden, den hatte als erste die Suzuki DR Big. Auch wenn dies heutzutage keinen mehr interessiert. Die Rolle der S1000XR ist keine leichte. Auf der einen Seite soll und darf sie dem Bestseller R 1200 GS nicht die Quere kommen, auf der anderen Seite muss sie sich gegen die nackte Schwester S1000R wehren. Die hat im Grunde die gleiche technische Basis, ist bei vergleichbarer Ausstattung jedoch deutlich günstiger zu haben. Allerdings hat BMW mit der S1000XR jetzt endlich eine Alternative für die Motorradfahrer die mit Boxer und der GS absolut nix anfangen können. Die eigentlichen Gegner sind daher KTM 1190 Adventure und Ducati Multistrada 1200.
Ducati Multistrada 1200 S – Viel Ausstattung und ein kräftiges Herz
Im Gegensatz zur Basisversion kommt die Multistrada 1200 S mit kompletter Ausstattung daher. Und da BMW seine Testmotorräder immer vollausgestattet zur Verfügung stellt, haben wir bei Ducati gleich die S-Variante geordert. Die hat im Grunde fast alles was bei der BMW als optionale Ausstattung verbaut hat, serienmäßig. Liest sich auf den ersten Blick sehr löblich, schlägt sich beim zweiten aber halt auch deutlich im Preis nieder. 18.490 Euro muss man für die S berappen, entspricht zur Basis einem Aufschlag von exakt 2.000 Euro. Mit den an der Testmaschine montierten Koffern summiert sich der Preis auf 19.553 Euro. Dafür ist sehr viel modernste Technik dabei. Vor allem das semiaktive Fahrwerk, bei Ducati Skyhook genannt. Dieses bietet 4 Einstellungsvarianten: Sport, Touring, Urban und Enduro sowie die Einstellung der Federvorspannung auf den Beladungszustand. Im Gegensatz zur S1000XR kann der Fahrer innerhalb der einzelnen Programme die Dampferabstimmung nach seiner persönlichen Vorliebe einstellen und zwar getrennt für Front und Heck. Gleiches gilt für das Motormapping, das ABS sowie die Traktions- und Wheeliekontrolle. Technikverliebte, Pe
Im Vergleich zur S1000XR fällt die spürbar niedrigere Sitzposition auf. Auf dem Papier sind es nur 15 mm, in Realität sitzt man einen ganzen Stock tiefer. Wer nicht gerade Gardemaß besitzt, fühlt sich auf der Multistrada 1200 S deutlich wohler. Dazu passen der entspannte Kniewinkel und die fast aufrechte Sitzposition. Der Lenker ist sehr breit, liegt aber gut in der Hand und ist angenehm gekröpft. Die Sitzbank nimmt den Fahrer sehr gut auf und bietet gute Unterstützung bei starker Beschleunigung. Und beschleunigen tut man bei jeder sich ergebender Gelegenheit. Dann wird der Sport- zum Spaßmodus und der Fahrer zum Dauergrinser. Das Gesamtpaket aus Motorpower, V2-Sound trifft mitten ins Fahrerherz, wirkt emotionaler als die BMW. Die Multistrada 1200 mag zwar im Vergleich ein wenig italienischen Charme verloren haben, dafür ist sie eben alltagstauglicher, wirkt reifer, kommt dem Piloten mehr entgegen als früher. Ist dabei allerdings noch immer pfeilschnell. Die größte Überraschung dabei: der wirklich gute Komfort: straff genug um ordentlich um die Ecken zu bolzen, dabei jedoch spürbar nachgiebiger in Sachen Dämpfung als die S1000XR.
Das Skyhook-Fahrwerk trägt einen großen Teil zum Wohlbefinden bei. Gerade wenn man schnell auf wirklich schlechten Strecken unterwegs ist, zeigen sowohl die Ducati als auch die BMW welch Potential in der elektronischen Dämpfungssteuerung steckt. Das Feedback bezüglich der Fahrbahnoberfläche ist hervorragend, was fehlt sind grobe Schläge oder im Gegensatz dazu Aufschaukeln irgendeiner Art. Dies sorgt für einen stets guten Kontakt zur Straße und hält das gesamte Motorrad einfach besser auf Kurs. Der komfortable Eindruck der Multistrada bestätigt sich auch hier. Sie sackt schon mal eher in die Federn als die BMW, wirkt ein wenig als rechne und regele die BMW etwas schneller. Dafür entschädigt die Italienerin mit einfacherem Handling, wobei auch die aktuelle Multistrada kein Handlingwunder ist. Tut dem Fahrspaß dennoch keinen Abbruch, denn sie ist eine echte Kurvenfeile. Lenkt präzise ein und folgt der eingeschlagenen Linie wie am Schnürchen. Der Scorpion Trail II aus dem Hause Pirelli bietet hervorragenden Gripp und untermauert die sportlichen Ambitionen der Ducati. Dazu passen auch die hervorragenden Bremsen. Die Brembo-M50-Monoblöcke ankern hervorragend und lassen sich sehr gut dosieren. Selbst beim Bremsen in Schräglage hält die Ducati die Linie, von Aufstellneigung keine Spur. Dieses hohe Niveau kann das Getriebe nicht ganz halten. Es verlangt nach einem Plus an Aufmerksamkeit, wir sind einige Male zwischen Gang 5 und 6 gelandet.
BMW S1000XR – Präzisionswerkzeug mit viel Power und rauem Charakter
Die S1000XR muss ab Werk mit deutlich weniger Ausstattung auskommen, hat dafür jedoch einen deutlichen niedrigeren Preis: 15.300 Euro. Unsere Testmaschine ist jedoch voll ausgestattet und kostet daher 19.410 Euro. Die Preisstrategie der Hersteller spielt also im Grunde keine Rolle: der Weg zur maximalen Ausstattung führt ausschließlich über die Börse des Kunden. Das die BMW preislich etwas besser wegkommt – bei 19.000 Euro vollkommen egal. Immerhin ist dafür alles verbaut was der moderne Motorradbau so zu bieten hat: dynamische Traktionskontrolle, unterschiedliche Fahrmodi, Schräglagen-ABS, Schaltassistent, semiaktives Fahrwerk und vieles mehr. Im Gegensatz zur Multistrada 1200 lässt die S1000XR den Fahrer nicht viel individuell einstellen. Innerhalb der gewählten Fahrprogramme lässt sich die Dämpfung nicht beeinflussen, gleiches gilt für die Federvorspannung. Die lässt sich innerhalb der gewählten Einstellung nicht verändern. Ob man dies in Realität tatsächlich tut, muss jeder für sich entscheiden.
Der Antrieb der S1000XR hat ähnlich wie bei der Multistrada supersportliche Gene. Ursprünglich entstammt er dem Supersportler S1000RR und wurde weitgehend unverändert von der nackten S1000R übernommen. Die für den Landstraßeneinsatz notwendigen Anpassungen hat man da bereits vorgenommen. Was bleiben sind stramme (und zuverlässig antretende) 160 bayerische Pferde aus 999 Kubik, das Drehmoment liegt mit 112 NM um ganze 24 NM unter der Multistrada und bei 9.250 Umdrehungen auch deutlich später an. Hier spielt die Ducati ihren Hubraumvorteil aus. Im Fahrbetrieb bestätigt sich dann der Eindruck den die technischen Daten erahnen lassen. Die BMW braucht mehr Drehzahlen um ihre Leistung zu entfalten, die Ducati hat im unteren Drehzahldrittel den besseren Antritt. Mit steigender Drehzahl ändert sich jedoch das Bild, ab der Drehzahlmitte legt die S1000XR noch mehr zu als die Multistrada, fackelt hier mehr Feuerwerk ab. Nicht das der Eindruck entsteht, die BMW sei eine Drehorgel ohne Power im Keller. Der Antritt ist gewaltig, allerdings kommt die Ducati halt etwas besser in die Pötte. Umgekehrt schiebt die Ducati im oberen Drehzahlbereich zwar ebenfalls mächtig, vermittelt aber einen Hauch weniger Spritzigkeit als die BMW. Letztendlich eine Frage des Geschmacks und der persönlichen Vorliebe. Das gilt jedoch nicht für die Laufkultur des Reihenvierers. Der produziert nämlich hochfrequente Vibrationen die auf Dauer wirklich ordentlich am Geduldsfaden zerren.
Seinen Arbeitsplatz findet der Fahrer ein ganzes Stück höher vor als auf der Ducati. Die S1000XR ist deutlich hochbeiniger und verlangt dementsprechend nach längeren Beinen oder Balance-Geschick. Auf dem Fahrersitz angekommen, ergibt sich ein ähnliches Bild wie auf der Multistrada. Entspannte weil aufrechte Sitzposition, breiter Lenker und angenehmer Kniewinkel. Die Instrumente wirken weniger hochwertig als das schicke TFT-Display der Duc, dafür lässt sich die BMW deutlich intuitiver bedienen. Taugt sowohl für die lange Tour als auch die fixe Runde auf der Hausstrecke. Und fix ist man oft mit der BMW unterwegs. Denn die gebotene Performance ist schlichtweg der Hammer, dazu das raue Röcheln des Vierzylinders und die Nachbrenner-mäßige Beschleunigung bei steigender Drehzahl. Anders als bei der Ducati, aber nicht weniger geil. Dazu passt die messerscharfe Präzision des Fahrwerks. Die Grundabstimmung ist spürbar straffer, was der S1000XR auch zu einer etwas besseren Lenkpräzision verhilft. Wie ein chirurgisches Instrument folgt die BMW der Fahrerhand, verwöhnt mit hervorragendem Feedback. Hier hat sie die spitze Nase etwas vor der Ducati, die bietet im Gegensatz jedoch eine etwas entspanntere Fahrweise. Denn die Duc erledigt ihre Arbeit in der Regel einen Gang höher als die BMW, vor allem wenn man schnell unterwegs ist. Dann braucht die BMW Drehzahl und wirkt insgesamt etwas hektischer und verlangt nach mehr Schaltarbeit.
Auch die S1000XR ist kein Handlingwunder. Von erhöhtem Kraftaufwand wollen wir auch hier nicht sprechen, sowohl die Duc als auch die BMW wollen bewusst bewegt werden. Die Dämpfersteuerung der BMW arbeitet bei groben Unebenheiten besser als der der Multi. Die XR wirkt stabiler, sackt nicht in die Federn wie die Multi dies ab und an tut. Dafür sie eine Eigenheit die wir schon bei der R1200RS bemerkten. Das Fahrwerk scheint stets und ständig mit der Dämpferregelung beschäftig zu sein. Die führt bei scheinbar topfebener Strecke zu einem sehr leichten aber spürbaren Arbeiten an der Front. Es fühlt sich an wie ganz leichtes Konstantfahrruckeln.
Ein echter Pluspunkt für die BMW ist der Schaltassistent. Ohne Kupplung hoch- und runterschalten passt hervorragend zum sportlichen Charakter der BMW und funktioniert tadellos. Ein weiterer ist die hervorragende Verarbeitung der Bayerin. Hier profitiert die XR von den Erfahrungen des Herstellers. Alles wirkt sehr ausgereift und durchdacht, die Materialien sind hochwertig, die Funktionalität ist bis hin zum Koffersystem sehr gut. Die Multistrada 1200 kann hier nicht ganz mithalten. Von einer klapprigen Italienerin ist man zwar meilenweit entfernt, aber an der einen oder anderen Stelle ist eine gewisse Nachlässigkeit sichtbar. So lässt sich beispielweise die Verkleidung oberhalb der Scheinwerfer verbiegen, bietet die Stabilität eines Tupperdosendeckels. Und das schicke TFT-Display wies trotz geringer Laufleistung bereits sichtbare Kratzer auf.
Multistrada1200S verkleich BMWS1000XR
Multistrada1200S verkleich BMWS1000XR
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